Donnerstag, 23. April 2015

Jesus Christus, unser Bruder und Herr ?

In unseren Gottesdiensten ist es üblich, daß außer dem Vaterunser alle Gebetstexte der Liturgie umformuliert werden. So auch die Standartendungen der Gebete: aus "... durch Christus, unsern Herrn." wird "... durch Christus, unsern Bruder und Herrn. Und das durchweg. Sonntag für Sonntag, Gebet für Gebet. Selbst der Satz nach der Verkündigung des Evangeliums wird umgewandelt zu "Evangelium unseres Herrn und Bruders Jesus Christus".
Nun mag das sehr fromm und auch bibeltreu klingen. Hat Christus sich nicht total "entäußert" (Philipper 2), erniedrigt bis in die tiefsten Tiefen, um uns als Mensch gleich zu werden? Ist das "Wort" nicht "Fleisch geworden" (Johannes 1) und hat "unter uns gezeltet"? Und nennt Christus seine Jünger, die, die seinen Willen tun, nicht seine Brüder/Schwestern/Mutter (Markus 3 und Parallelen) oder Freunde (Johannes 15)? Nennt der Auferstandene die Jünger nicht seine Brüder (in der Begegnung mit Maria Magdalena, Johannes 20)? Und bezeichnet nicht der Apostel Paulus Christus als den "Erstgeborenen unter vielen Brüdern" (Römer 8)? Interessanterweise spricht Paulus aber in Römer 8 von Christus als dem Kyrios, dem Herrn, was ein Gottestitel ist. Da beendet er seinen Gedankengang mit einer liturgischen Formel, die abschließt mit den Worten "Christus, Jesus ... unserem Herrn.". Und auch in den Evangelien wird Jesus von den Menschen allgemein und auch von den Jüngern im Besonderen in der Regel angeredet mit "(mein) Meister" oder "(mein) Herr",  oder gar mit "mein Herr und mein Gott." Und wenn von ihm die Rede ist, dann auch meist als von dem "Herrn" und nicht als von "unserm Bruder/unserm Freund".  Wenn ich nichts übersehe, wird Christus im Neuen Testament niemals angeredet mit "(mein oder unser) Bruder/Freund". Offensichtlich ist die biblische Antwort auf die Bezeichnung der Jünger als Brüder und Freunde nicht, ihn nun wiederum als Bruder und Freund zu bezeichnen und anzureden.Aus der Sicht Christi sind wir, so wir denn seinen Willen tun, seine Brüder, oder seine Freunde.  Aus unserer Sicht aber ist er immer "Herr" und "Gott". Auch wenn die Menschwerdung für Christus Entäußerung und Erniedrigung bedeutet, und wir dadurch zu seinen Brüdern/Schwestern/Freunden werden, so ist diese Erniedrigung Christi für uns aber eine Erhebung sondergleichen.  Und die läßt uns erschaudern, weil wir darin seine wahre unausschöpfliche Größe erkennen. Und so wagen wir nicht, ihn Bruder oder Freund zu nennen. Mit den Aposteln können wir nur auf die Knie fallen, und ihm bekennend zurufen: "Mein Herr und mein Gott".Und: Weil er uns Brüder/Schwestern/Freunde nennt, dürfen wir nun auch mit ihm gemeinsam zu Gott "unser Vater" sagen. Oder, wie es in der Liturgie so schön heißt, wir können es wagen, so zu sprechen. 

(Ich verdanke diese Einsichten Hans Urs von Balthasar. In seinen Meditationen zum Credo schreibt er: "Wenn er uns als Auferstandener seine "Brüder" nennt, so liegt darin eine solche Ehrung, daß wir, die Bezeichnung empfangend, erst recht mit Thomas bekennen: 'Mein Herr und mein Gott'. Gerade weil er sich so tief herabläßt, uns die Füße zu waschen, gerade weil er dem Unglauben entgegenkommt und seine Wunden betasten läßt. Überlassen wir die Anrede 'Großer Bruder' dem Antichristen Orwells oder Solowjews." Aber dann auch: "Er will, daß wir neben ihm stehend und gemeinsam mit ihm das "Vater-unser" sagen. ... Er will in uns vor dem Vater stehen, ja in uns im Vater sein. Er will, daß wir, die problematischen Geschöpfe, in ihm als 'neuer Himmel und neue Erde' in das inwendige Leben der göttlichen Liebe eingehen."
Hans Urs von Balthasar, Credo, Meditationen zum Apostolischen Glaubensbekenntnis, Herder, 1990, S. 35f.)